Folkedugnad

Passend zur Überschrift des letzen Blogeintrags („Die Qual der Wahl(en)“) fanden wir in unserer ersten „Too good to go“-Tüte von einem regionalen Feinkostladen zwei Salami-artige Würste aus Walfleisch. Ich wäre von selbst nie auf die Idee gekommen, eine Wal-Salami zu kaufen. Aber das vom Wegschmeißen gerettete Essen muss natürlich mindestens probiert und nur im Schlimmsten Fall doch entsorgt werden. Wer erwartet, dass Walfleisch nach Fisch schmeckt, wird eines Besseren belehrt. Zumindest in Form einer Salami – das heißt, entsprechend gewürzt und mit Schweineherz vermischt – schmeckt es schlichtweg nach kräftiger, fettiger Salami. Auf dem Brett, auf dem ich die Salami geschnitten habe, ist immer noch ein großer Fettfleck, der sich bisher mit verschiedensten Methoden nicht hat wegwaschen lassen wollen. Vermutlich könnte man den Löffel Tran im Winter (siehe Blogeintrag „Trantüte“) auch durch eine entsprechende Menge Walsalami ersetzen. Da die Tage länger werden und sich der Vitamin-D-Speicher endlich auch durch Sonnenstrahlen füllt, ist dies nicht mehr notwendig. So wird unsere Walsalami wahlweise auf unseren Brotscheiben oder in der Reispfanne landen.

Natürlich komme auch ich nicht an dem alles andere beiseite drängenden Thema Corona vorbei. Sowohl eine Heimreise nach Deutschland und Besuch der Verwandtschaft als auch ein bereits ausführlich geplanter Wanderurlaub musste verschoben werden. Hatte man gehofft, hier oben im Norden kommt das Virus nicht so schnell an wie in Zentraleuropa, wurde man enttäuscht. Ende Februar traten die ersten nachgewiesenen Fälle sowohl im südlich gelegenen Oslo als auch nahe am Nordpol auf. Selbst auf den Färöer Inseln – um politisch korrekt zu sein: die Färöer Inseln sind autonom und gehören zur dänischen Krone, liegen jedoch zwischen Norwegen und Island; sie sind für mich der Inbegriff der europäische Abgeschiedenheit – gab es bereits Anfang März erste Infizierte. Entgegen der Haltung unserer schwedischen Nachbarn, hat Norwegen relativ schnell – genauer: Vier Tage vor Deutschland – Maßnahmen gegen die Ausbreitung beschlossen. Vor zweieinhalb Wochen wurden die meisten öffentlichen Einrichtungen, Schule, Museen und Ähnliches geschlossen und Veranstaltungen abgesagt. Wer aus dem Ausland nach Norwegen kommt, muss zwei Wochen in Quarantäne, und viele Unternehmen haben entweder wenn möglich Home Office angeordnet oder auf unbestimmte Zeit geschlossen. Als diese Maßnahmen anfingen, haben viele Norweger verständlicherweise gedacht, dass es sich in dieser Zeit auf ihrer Hütte in den Bergen doch viel besser Leben ließe als in der Stadt: weniger Kontakt zu anderen Menschen, ausreichend gute Internetverbindung für Home Office und beste Skibedingungen schienen gute Argumente zu sein. Doch die Regierung hat schnell reagiert und wenige Tage später wurden Hüttenaufenthalte verboten, wenn sich die Hütte außerhalb der Gemeinde, in der man wohnt, befindet. Auch sie hatte einige wie ich finde überzeugende Argumente: Die Infrastruktur, insbesondere Krankenhäuser, ist an den Wohnorten ausgerichtet. Wenn jeder gegebenenfalls Corona-Erkrankte erst mit dem Hubschrauber hunderte Kilometer geflogen werden muss, kann man sich denken, wie schnell das Pflegesystem an seine Grenzen kommt. Dieses Hüttenverbot wird gemäß den Medien auch mit Strafen geahndet. Im Vergleich zu Deutschland scheinen die Maßnahmen insgesamt aber doch noch etwas weniger rigoros zu sein. Von einer Beschränkung der Anzahl der Teilnehmer an einem Spaziergang habe ich nur in deutschen Zeitungen gelesen. Es wird an die Solidarität der Menschen appelliert und die momentane Zeit als „folkedugnad“ – „Volks-Freiwilligen-Arbeitseinsatz/ Nachbarschaftshilfe zum Wohle der Gesellschaft“ – bezeichnet. „Dugnad“ wird normalerweise zum Beispiel von Hausgemeinschaften oder Vereinen als Frühjahrsputz durchgeführt. Hier wird dazu geraten, zum Beispiel öffentliche Nahverkehrsmittel zu meiden und Abstand im Supermarkt zu halten. Andererseits wird aber auch betont, dass es wichtig ist das gute Wetter am Wochenende zu nutzen und spazieren oder wandern zu gehen, Fahrrad zu fahren und Ähnliches. Wenn möglich, sollte dies aber in der eigenen Gemeinde und nicht alle an den typischen beliebten Ausflugszielen stattfinden. Ein schwieriger Spagat ist das. Apropos Spagat, während Toilettenpapier zu kaufen hier in Oslo weiterhin problemlos möglich war, war es schon schwieriger an eine Yogamatte zu kommen. Erst beim vierten Sportladen hatte ich Erfolg. Selbst wenn mein gewünschtes Modell nicht mehr vorhanden war, habe ich immerhin eine Matte bekommen. Die Videoangebote und Online-Live-Fitnessstunden sind vielfältig. Als mir neulich vorgeturnt wurde, sich drei Meter in die eine und drei Meter in die andere Richtung zu rollen, zeigte sich jedoch, dass die Programme noch nicht ganz an die neue Situation angepasst waren. Die Übungsleiterin hatte den großen Fitnessstudioraum für sich allein, aber meine erste Rolle endete schon am Tischbein in die eine Richtung und am Sofa in die andere Richtung. Nudeln, Mehl und Hefe zu Beginn der Maßnahmen sehr beliebt. Unsere letzte frische Hefe haben wir für Zimtschnecken verwendet. Mehl und Nudeln gibt es mittlerweile wieder zu kaufen. Während mein Mann noch zur Arbeit geht, habe ich mir am Schreibtisch meine Home Office-Ecke eingerichtet. Etwas Positives daran ist die selbstbestimmte Mittagspause: mal ein Spaziergang, mal ein Mittagessen im Park, mal eine Joggingrunde und mal ein Sonnenbad auf dem Balkon. Zum Glück scheint die Sonne auch gern auf relativ leere Straßen und stillgelegte Unternehmen. Und wie ihr euch sicherlich denken könnt, haben wir bisher keine Schwierigkeiten, das Fahrrad statt die Bahn zu nehmen und abgelegenes Waldidyll rund um Oslo zu finden. Harren wir also bis nach Ostern aus, versuchen das Beste aus der Situation zu machen und hoffen auf tollere Zeiten!

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