Geduld
Mittlerweile musste ich feststellen, dass die von mir so ersehnte D-Nummer leider doch nicht das hält, was sie versprochen hat. Mit der D-Nummer macht man einen Schritt in die richtige Richtung, jedoch laufen viele Anmeldungen wie beispielweise das Aussuchen eines Hausarztes („fastlege“) online ab. Und für diese Online-Registrierung bzw. -Identifizierung braucht man keine D-Nummer, sondern eine Bank ID. Diese wiederum bekommt man natürlich erst, wenn man ein Bankkonto eröffnet hat. Ich habe mich nach einem eher halbherzigen Vergleich verschiedener Banken für die sicherlich nicht günstigste, aber sehr präsente und englischsprachige Bank DNB entschieden. Der Prozess des Kontoeröffnens hat aufgrund einiger Postversendungen und persönlich vorbeizubringenden Unterschriften gefühlt eine kleine Ewigkeit gedauert. Nun bin ich stolze Besitzerin eines Kontos in Norwegen. Und der Bank ID; dachte ich. Falsch gedacht. Ich kann zwar Onlinebanking betreiben, muss dies jedoch mit einem anderen Verfahren als oder Bank ID tun. Eine Bank ID kann man nur bekommen, wenn man eine norwegische Identifikationsnummer hat. Und aufmerksame Leser werden es sich behalten haben: Um diese zu bekommen, muss ich bei der Polizei vorstellig werden, die mich jedoch erst im Mai empfangen wird. Es heißt also weiter geduldig sein. Das ist bei solchen organisatorischen Sachen nicht meine Stärke, würde ich doch gern alles so schnell wie möglich regeln. Aber es ist ja nicht so, als würde ich in der Zwischenzeit Däumchen drehen. Die Zwischenzeit ist mit Planung des „großen“ Umzugs, Überlegungen zum weiteren Verbleib unseres Autos, Wohnungssuche in Oslo und ähnlich spannenden Themen gefüllt. Zu diesen Themen kann ich demnächst vermutlich jeweils einen eigenen Blogeintrag schreiben.
Das Stadtleben
Es ist sehr angenehm in der Stadt zu wohnen. Während sich in meinem bisherigen Leben immer wieder ein paar Minuten pro Tag darum gedreht haben, rechtzeitig zum Bus oder Zug aufzubrechen, verlasse ich nun morgens das Haus, wenn ich fertig bin, und beende nachmittags die Arbeit, wann immer ich es für richtig halte. Und egal, welche Zahlen auf der Uhr stehen, es kommt immer innerhalb weniger Minuten ein Bus, eine T-bane – wer den vorherigen Eintrag aufmerksam gelesen hat, weiß, dass dies die U-Bahn ist –, ein Zug oder eine Straßenbahn („Trikk“). Ich hatte zuerst Bedenken, dass es mir bei diesem Luxus an Verkehrsmitteln im Sommer schwer fallen wird, auf das Fahrrad als Transportmittel umzusteigen. Glücklicherweise sind diese Bedenken unbegründet. Im Sommer – d.h. im Juli und August – wird die Frequenz der Verkehrsmittel ausgedünnt, denn schließlich ist Sommer- und Urlaubszeit. Somit werde ich doch dankbar für mein Fahrrad sein.
Während manchmal selbst bei nicht-sommerlichen Temperaturen die Menschen in den Verkehrsmitteln ein Grund für die Flucht auf das Fahrrad sein können, ist dies hier – zumindest nach meinen bisherigen Erfahrungen – nicht der Fall. Alle Leute setzen sich brav ans Fenster, und wenn jemand von einem Fensterplatz aufsteht, rückt derjenige am Gang auf diesen Platz. Ich finde das sehr vorbildlich. Vielleicht ist der Grund hierfür weniger die Empathie mit den stehenden Leuten als vielmehr der Wunsch aus dem Fenster zu schauen. Wie dem auch sei, es freut die Stehenden.
Mittlerweile habe ich von zwei Norwegerinnen – meiner Mitbewohnerin und eine ihrer Freundinnen – gelernt, dass die von mit gedeuteten Zeichen des Platzmachens falsch waren. Norweger brauchen mindestens drei Meter Abstand zum nächsten Menschen, sonst fühlen sie sich unwohl. Ich entgegnete, dass es etwas irritierend ist, wenn jemand gern allein in der Sitzreihe sitzen möchten, sich aber gleichzeitig an das Fenster statt an den Gang setzt. Die beiden mussten zugeben, dass dieses Verhalten nicht logisch ist. Möglicherweise wird die 3-Meter-Regel in der Großstadt Oslo, in der viele verschiedene Kulturen leben, nicht ganz so ernst genommen. Dies und noch weitere merkwürdige Verhaltensweisen der Norweger kann man in dem illustrierten Buch „The social guideline to Norway“ nachlesen, was mir von den beiden wärmstens empfohlen wurde. Von dem „Nicht zu nahe kommen“ hatte ich zuvor schon einmal gelesen. Und es gab manche Situationen, in denen ich mich fragte, ob die Reaktion des Anderen damit zusammenhängt. Beispielsweise war ich es gewohnt, dass man sich beim Essen in der Kantine, in der es um einen herum ja meist etwas lauter ist, nach vorne in Richtung Tisch beugt, um den anderen besser zu verstehen bzw. selbst besser verstanden zu werden. Wenn man dieser Gewohnheit und manchmal Notwendigkeit nachgeht, führt dies dazu, dass die Norweger sich auf ihrem Stuhl zurücklehnen, d.h. wieder mehr Abstand schaffen.Wenn es mir auffällt, lehne ich mich auch etwas zurück. Doch spätestens drei Minuten später habe ich dies wieder vergessen.
Wie im Eintrag „Sprachfortschritte 1“ beschrieben, höre ich beim Bahnfahren gern zu, was sich die Menschen um mich herum zu berichten haben. Jedoch ist dies gar nicht so einfach, da die Norweger doch eher zurückhaltend und leise sind. Dies trägt zusätzlich zu dem oben genannten Verhalten in Transportmitteln zu einer angenehmen Atmosphäre bei. Einmal saßen auf dem Weg von der Arbeit nach Hause zwei Deutsche in meiner Nähe. Es war erschreckend, wie laut und rücksichtslos sie sich unterhalten haben. Das Norwegisch hingegen geht in einem Singsang unter und erscheint mir nicht so penetrant.
Tourist in der eigenen Stadt
Während ihres Urlaubes genießen es die meisten Menschen durch eine fremde Stadt zu schlendern, das Flair…
– laut Duden heißt es tatsächlich „das“ Flair. Aber warum beschäftige ich mich noch mit der deutschen Sprache?! Im Norwegischen gibt es diesen Ausdruck nicht. Nach meinen Internetrecherchen und der Aussage meiner Mitbewohnerin kann man lediglich sagen, dass eine Stadt „trivelig“ oder „avslappende“ ist. Generell scheint es in der norwegischen Sprache viel weniger Worte zu geben als beispielsweise im Englischen oder Deutschen. So habe ich schon häufiger mitbekommen, dass auch Norweger untereinander manchmal zur englischen Sprache wechseln, um sich exakter auszudrücken. Gegeben, dass dies wirklich so ist, muss ich also nicht ganz so viele Vokabeln lernen wie damals als ich anfing zu sprechen. Da man im Alter ja auch vergesslicher wird, finde ich das nur fair. Doch nun zurück zu meinen ursprünglichen Gedanken. –
… der Stadt zu erleben und sich an kleinen Dingen wie einem schönen Gebäude oder guten Straßenmusikern zu erfreuen. In der eigenen Stadt hetzen sie durch die Stadt, in der sie leben, ohne nach links und rechts zu schauen. Wenn man jedoch in eine fremde Stadt zieht, erlebt man die Stadt als Tourist. Jede Kleinigkeit, jede Situation wird begutachtet und mit Wohlwollen bewertet: Macht der Hund mitten auf den Fußweg? – Ach, da kommt ja schon das Herrchen mit einem Beutel. Das ist aber eine ordentliche, saubere Stadt. Hat der Mann in der U-Bahn („T-bane“) etwa einen Papageien auf der Schulter? – Beruhigend, dass es auch hier merkwürdige Leute gibt. Es wird eine kostenlose Führung durch das norwegische Parlament angeboten? – Das ist sicherlich interessant. Hin da!
Allein dieses „Tourist-in-der-eigenen-Stadt-sein“ ist Grund genug gelegentlich umzuziehen. An der Führung im norwegischen Parlament – Stortinget genannt – habe ich an einem ruhigen Samstagmorgen teilgenommen, und kann sie sehr empfehlen. Die Führung wird in englischer und norwegischer Sprache angeboten. Da ich sichergehen wollte den Inhalt zu verstehen, entschied ich mich sicherheitshalber für die englische Führung. Die norwegische Führung werde ich später im Jahr sicherlichmit meinem Mann noch einmal besuchen. An diesem kühlen Samstagmorgen stand ich also pünktlich um 9.50 Uhr in einer kleinen Schlange, die sich vor dem Parlamentsgebäude gebildet hatte. Die Schlange der interessierten Frühaufsteher bestand aus mehreren Pärchen, bei denen sich die kulturell interessierte Frau durchgesetzt hat, drei chinesischen Touristen, einer Mutter mit Tochter, deren Mann bzw. Vater vermutlich darum gekämpft hat nicht mitgehen zu müssen, und einigen weiteren Einzelgängern. Um 10 Uhr wurden wir durch die Sicherheitskontrollen, welche denen am Flughafen entsprechen, geschleust. Von meinem Besuch im Munch-Museum im vergangenen Jahr kannte ich diese Prozedur schon. Die ca. 50-Minutige Führung war sehr informativ und die Themen motiviert vorgetragen. Mir ist besonders im Gedächtnis geblieben, dass Norwegen im Jahr 1905 verzweifelt jemanden suchte, der König werden wollte. Zuvor wurde Norwegen abwechselnd unter schwedischer und dänischer Herrschaft regiert, so dass das Land keine eigene Königsfamilie hatte. Schließlich wurde Prinz Christian Frederik Carl Georg Valdemar Axel von Dänemark und Island – zugegebenermaßen habe ich mir diesen Namen nicht behalten, sondern nachträglich recherchiert – auserwählt, König Haakon VII. zu werden. Die norwegische Königsfamilie besteht also eigentlich aus Einwanderern. Das gibt Hoffnung, dass auch wir uns gut integrieren können.
Ähnlich wie der Versammlungsort Thingvellir auf Island ist auch das Stortinget aus der Idee einer Volksversammlung entstanden. Während Norwegen bis zum Ende der Koalitionskriege (Stichwort: Napoleon) in einer Union mit Dänemark war, sollte das Land nach den Kriegen an Schweden gehen. Die Norweger hingegen strebten ihre Unabhängigkeit an und legten am 17. Mai 1814 in Eidsvoll (nord-östlich von Oslo gelegen) den Grundstein für ein eigenes, norwegisches Grundgesetz. Daher wird der 17. Mai als Feiertag mit traditionellen Umzügen gefeiert - ich bin sehr gespannt dies bald mitzuerleben. Nach einem kurzen Krieg gegen Schweden beugten sich die Norweger und gingen eine Union mit Schweden ein. Immerhin blieb das Fundament ihrer eigenen Verfassung gültig. Über die Zeit hinweg wurde Norwegen unabhängiger von Schweden. So wurde die Regierung ab1884 nicht mehr durch den schwedischen König, sondern durch das Stortinget bestimmt. Die komplette Unabhängigkeit von Schweden erlangte Norwegen durch ein Referendum im Jahr 1905. Mit dieser freudigen Information ist der Geschichtsunterricht ohne Gewähr für heute beendet.
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