Das Stadtleben
Es ist sehr angenehm in der Stadt zu wohnen. Während sich in meinem bisherigen Leben immer wieder ein paar Minuten pro Tag darum gedreht haben, rechtzeitig zum Bus oder Zug aufzubrechen, verlasse ich nun morgens das Haus, wenn ich fertig bin, und beende nachmittags die Arbeit, wann immer ich es für richtig halte. Und egal, welche Zahlen auf der Uhr stehen, es kommt immer innerhalb weniger Minuten ein Bus, eine T-bane – wer den vorherigen Eintrag aufmerksam gelesen hat, weiß, dass dies die U-Bahn ist –, ein Zug oder eine Straßenbahn („Trikk“). Ich hatte zuerst Bedenken, dass es mir bei diesem Luxus an Verkehrsmitteln im Sommer schwer fallen wird, auf das Fahrrad als Transportmittel umzusteigen. Glücklicherweise sind diese Bedenken unbegründet. Im Sommer – d.h. im Juli und August – wird die Frequenz der Verkehrsmittel ausgedünnt, denn schließlich ist Sommer- und Urlaubszeit. Somit werde ich doch dankbar für mein Fahrrad sein.
Während manchmal selbst bei nicht-sommerlichen Temperaturen die Menschen in den Verkehrsmitteln ein Grund für die Flucht auf das Fahrrad sein können, ist dies hier – zumindest nach meinen bisherigen Erfahrungen – nicht der Fall. Alle Leute setzen sich brav ans Fenster, und wenn jemand von einem Fensterplatz aufsteht, rückt derjenige am Gang auf diesen Platz. Ich finde das sehr vorbildlich. Vielleicht ist der Grund hierfür weniger die Empathie mit den stehenden Leuten als vielmehr der Wunsch aus dem Fenster zu schauen. Wie dem auch sei, es freut die Stehenden.
Mittlerweile habe ich von zwei Norwegerinnen – meiner Mitbewohnerin und eine ihrer Freundinnen – gelernt, dass die von mit gedeuteten Zeichen des Platzmachens falsch waren. Norweger brauchen mindestens drei Meter Abstand zum nächsten Menschen, sonst fühlen sie sich unwohl. Ich entgegnete, dass es etwas irritierend ist, wenn jemand gern allein in der Sitzreihe sitzen möchten, sich aber gleichzeitig an das Fenster statt an den Gang setzt. Die beiden mussten zugeben, dass dieses Verhalten nicht logisch ist. Möglicherweise wird die 3-Meter-Regel in der Großstadt Oslo, in der viele verschiedene Kulturen leben, nicht ganz so ernst genommen. Dies und noch weitere merkwürdige Verhaltensweisen der Norweger kann man in dem illustrierten Buch „The social guideline to Norway“ nachlesen, was mir von den beiden wärmstens empfohlen wurde. Von dem „Nicht zu nahe kommen“ hatte ich zuvor schon einmal gelesen. Und es gab manche Situationen, in denen ich mich fragte, ob die Reaktion des Anderen damit zusammenhängt. Beispielsweise war ich es gewohnt, dass man sich beim Essen in der Kantine, in der es um einen herum ja meist etwas lauter ist, nach vorne in Richtung Tisch beugt, um den anderen besser zu verstehen bzw. selbst besser verstanden zu werden. Wenn man dieser Gewohnheit und manchmal Notwendigkeit nachgeht, führt dies dazu, dass die Norweger sich auf ihrem Stuhl zurücklehnen, d.h. wieder mehr Abstand schaffen.Wenn es mir auffällt, lehne ich mich auch etwas zurück. Doch spätestens drei Minuten später habe ich dies wieder vergessen.
Wie im Eintrag „Sprachfortschritte 1“ beschrieben, höre ich beim Bahnfahren gern zu, was sich die Menschen um mich herum zu berichten haben. Jedoch ist dies gar nicht so einfach, da die Norweger doch eher zurückhaltend und leise sind. Dies trägt zusätzlich zu dem oben genannten Verhalten in Transportmitteln zu einer angenehmen Atmosphäre bei. Einmal saßen auf dem Weg von der Arbeit nach Hause zwei Deutsche in meiner Nähe. Es war erschreckend, wie laut und rücksichtslos sie sich unterhalten haben. Das Norwegisch hingegen geht in einem Singsang unter und erscheint mir nicht so penetrant.
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