„Ja, vi elsker dette landet…

… wie es aufsteigt, zerfurcht und wettergegerbt aus dem Wasser, mit den tausend Heimen. Lieben, lieben es und denken an unseren Vater und Mutter und die Saganacht, die hinsenkt Träume auf unsere Erde.“ So lautet die erste Strophe der norwegischen Nationalhymne. Diese wurde natürlich wiederholt am 17. Mai (Nationalfeiertag, siehe „Tourist in der eigenen Stadt“) gesungen. An diesem Tag hat man als Einwohner Norwegens zwei Möglichkeiten: Entweder flüchtet man zur Hütte im Wald und entkommt dem Trubel, oder man feiert mit. Wie schon letztes Jahr fiel unsere Entscheidung nicht allein wegen fehlender Hütte auf Letzteres. Im Kreise von mehr als ein Dutzend netten norwegischen und nicht-norwegischen Mitmenschen haben wir einen sonnigen Tag mit Sektfrühstück, Singen der norwegischen Nationalhymne, Erhaschen einiger Blicke auf den 17. Mai-Zug und die Königsfamilie (auf dem Balkon), Restaurantbesuch und „nachspiel“ verbracht. Als „nachspiel“ bezeichnet man in Norwegen allgemein das gemütlich Beisammensitzen und restliche-Flaschen-Leeren nach dem Feiern. Analog ist das norwegische „vorspiel“ das, was man in Deutschland wohl „vorglühen“ nennen würde – oder in meiner Studentenzeit zumindest genannt hat; vielleicht hat die heutige Jugend ein anderes Wort dafür?!

„vorspiel“ und „nachspiel“ sind zwei Beispiele dafür, wie das Norwegische mit deutschen Wörtern gespickt ist, aber die Ähnlichkeit gegebenenfalls zu falschen Rückschlüssen führen kann. Oder was würde der gemeine Blogleser denken und antworten, wenn er gefragt wird, ob er beim Nachspiel dabei ist?! Ein „øl” (Aussprache: Öl) ist auch nicht das Öl, sondern das Bier. „Gjeld” ist leider nicht das Geld, das man besitzt, sondern bezeichnet ganz im Gegenteil die Schulden. Und das „kinn“ ist im Norwegischenetwas verrutscht und bezeichnet die Wange. Für ganz wissbegierige Leser: Öl ist „olje”, Geld ist „kontant” und Kinn ist „hake”.

Über viele dieser und andere Wörter stolpere ich mehr oder weniger beiläufig in mehr oder weniger regelmäßigen Abständen. Auch ohne weiteren Sprachkurs – mein Zweiter und vorerst Letzter war Ende letzten Jahres – versuche ich, so viel Norwegisch wie möglich nebenher einzusaugen. Am 17. Mai beispielsweise habe ich spielerisch die vier Kartenfarben Herz („hjerte”), Pik („spar”), Karo („ruter”) und Kreuz („kløver”) gelernt – und die Deutschen direkt mit, da Pik für mich langezeit nur das ”Herz mit dem Stiel dran” war. Freizeitgespräche beim Mittagessen auf der Arbeit verlaufen – sofern nur skandinavische Kollegen am Tisch sitzen – auf Norwegisch. Für die Mühe meiner Kollegen bin ich sehr dankbar. Sicherlich ist es nicht immer einfach und spaßig mit einem Ausländer zu reden. Übrigens, noch ein „falscher Freund”: „middag” ist hier das (warme) Abendessen, während die Mahlzeit mittags „lunsj” heißt. Auf spontane Gespräche mit Nachbarn oder Fremden auf der Straße kann ich meistens auch eingehen; sei es, ob es ums Blumengießen, den nächsten Supermarkt, den freilaufenden Hund oder das Wetter geht. So ungesprächig wie ich dachte sind die Norweger nämlich gar nicht. Bücher von skandinavischen Verfasser – momentan lese ich Knausgaard, auch Jostein Gaarder, Selma Lagerlöf und Astrid Lindgren liegen im Bücherregal, siehe Bild im Blog „Schneegestöber” – lese ich zugegebenermaßen jedoch mittlerweile ohne Anspruch auf aktives Lernen. Das heißt, ich lese über gegebenfalls nicht bekannte Vokabeln hinweg und schlage sie nur nach, wenn mir ansonsten die Bedeutung eines Satzes verschlossen bleibt. Die für mich in Frage kommenden norwegischen Serien habe ich nun bald durch. Auch diese steigern sicherlich meinen passiven Wortschatz und das Verständnis für Dialekte, tragen aber weniger zu meinem aktiven Sprachgebrauch bei. Bei Vokabelnlernen aus dem Norwegisch-Lehrbuch hänge ich immer noch auf dem Niveau A2 fest. Ganz zu schweigen von meiner sicherlich grottenschlechten Aussprache. Trotzdem reicht es immer wieder ganze Gespräche zu führen. Ich glaube, Norweger sind aufgrund der für meine Ohren äußerst verschieden klingenden Dialekte im Land, der zwei offiziellen Sprachen „Nynorsk” und „Bokmål” und der vielen skandinavischen und nicht-skandinavischen Ausländer sehr geschult darin, verschiedene Arten der Aussprache zu interpretieren und verstehen. So zumindest meine Theorie. Selbst Telefonanrufen gehen nicht immer komplett schief. Als es Anfang Mai an der Zeit war, unseren Balkon zu bepflanzen und wir daher ein Gartencenter aufsuchten, waren sämtliche Erdbeerpflanzen bereits ausverkauft. Ohne Erdbeerpflanzen nach Hause zurückzukehren war keine Option für mich, und so rief ich in einem anderen Gartencenter an. Es wurde mir – vermeindlich – mitgeteilt, dass noch drei Erdbeerpflanzen verfügbar wären. Eigentlich wollte ich mindestens 8 Erdbeerpflanzen kaufen, aber drei sind besser als keine. Also ließ ich die Drei zurückstellen. Als ich diese vor Ort abholte, stellte sich heraus, dass eine ”Erdbeerpflanze” aus einem Korb mit acht Pflanzen besteht. Somit standen aufgrund dieses Missverständnisses 24 Erdbeerpflanzen für mich bereit. Zwei Körbe habe ich mitgenommen, über einen freute sich hoffentlich ein anderer Kunde. In diesem Fall hat die Freude über viele Erdbeerpflanzen überwogen, und ich konnte den ”Misserfolg” gut wegstecken. Doch ab und zu gibt es auch frustrierende Spracherlebnisse, die im besten Fall zu einer Trotzreaktion und Vokabellernen führen, im schlechtesten Fall ein paar Minuten schlechte Laune zur Folge haben. Besonders in Momenten unter Stress und Müdigkeit merke ich sehr deutlich, dass ich das Norwegische noch nicht verinnerlicht habe. Auch spontane, witzige Reaktionen sind eher Magelware. Doch ich möchte den Blogeintrag nicht mit diesen Sätzen schliessen. Daher schiebe ich noch folgende drei positive Wahrnehmungen hinterher: 1. Mittlerweile wechselt niemand mehr auf Englisch, wenn ich das Gespräch auf Norwegisch beginne; selbst dann nicht, wenn ich etwas nicht verstehe und nachfragen muss. 2. Neben Erdbeeren wachsen auf unserem Balkon auf Radieschen, Petersilie, Basilikum, wilde Stiefmütterchen, eine Blumenmischung, Salat und Sonnenblumen. Und so schnell tauchen neue Vokabeln zum Lernen auf. Der Vigelandpark sieht mit den bunten Tulpen zugegebenermaßen noch ein klein wenig besser aus als unser Balkon. Aber dafür schmeckt die Ernte bei uns besser. 3. Viel schlimmer als das Deutsch auf einem Schild im Toilettenraum eines Restaurants auf Madeira können meine norwegischen Formulierungen wohl kaum sein.

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