Schnee und Eis in der Stadt

Die ersten drei Monate in Oslo waren von Schnee, Eis, Kälte und Dunkelheit geprägt. Dass dies nicht zwangsläufig etwas Schlechtes sein muss, sondern zu wunderbaren Ski-Erlebnissen geführt hat, habe ich in meinen bisherigen Beiträgen hoffentlich deutlich machen können.

Eine Schattenseite, die sich auch in den Frühling hineinzieht, hat das Wetter jedoch. Bis in den März hinein waren die Straßen und Gehwege in Oslo vereist. Wenn es geschneit hat, war das Laufen einigermaßen zu meistern, da der frische Schnee ein wenig Grip unter den Winterschuhen gegeben hat. Als es im März nicht mehr schneite und das blanke Eis zum Vorschein kam, half nur noch der Pinguin-Gang. Die Watschel-Ente wurde bereits im letzten Eintrag vorgestellt; nun also der Pinguin-Gang: Das Gewicht wird hierbei bei jedem Schritt mehr als beim üblichen Laufen von einem Bein auf das andere verlagert. Das führt zu einem besseren Halt. Ich habe diese Gangart relativ schnell adaptiert und meisterte den harten Winter ohne Hinzufallen. Klappernde Spikes sollen als Alternative zum Pinguin-Gang nicht unerwähnt bleiben, sind jedoch nicht so gängig.

Die Gefahr lauert nicht nur auf dem Boden, sondern kommt manchmal auch vom Himmel bzw. den Dächern gefallen. Oft wird diese durch „ras“-Schilder angezeigt. „Ras“ ist das norwegische Wort für Lawine. Die Schilder sagen allerdings nie aus, welchen alternativen Weg man wählen sollte. Wenn Eisbrocken mit einem Durchmesser von 10 cm auf dem Bürgersteig liegen, wird einem ein bisschen Bange und man fragt sich, ob man nicht besser auf der Straße statt aufdem Bürgersteig laufen sollte. Da es statistisch gesehen jedoch wahrscheinlicher ist, von einem Auto überfahren als von einem Eisbrocken erschlagen zu werden, entschied ich mich für den Bürgersteig. Hier besteht auch noch die Hoffnung, dass die Eisbrocken nicht einfach so heruntergefallen sind, sondern vorsorglich vom Dach entfernt wurden. Für diese Aktion gibt es Unternehmen, die sich darauf spezialisiert haben, kleine Kräne zu vermieten. Ab und an werden mit diesen Kränen dann Schnee und Eis von den Dächern geklopft. So gesehen sollte es sogar sicherer sein, auf einem Bürgersteig mit großen Eisbrocken zu laufen. Diesen Winter ist es für mich gut gegangen.

Im April sind der Schnee und das Eis in Oslo geschmolzen. Zum Vorschein kam etwas viel Unangenehmeres: Kieselsteinchen. Diese wurden im Winter in ganz Oslo verstreut. Selten haben sie geholfen, denn meist sind sie über Nacht von Schnee und Eis umzingelt und eingefroren worden. Aufgrund der Massen an Kieselsteinchen und der Turnschuhe, die bei nicht-negativen Temperaturen getragen wurden, musste der Pinguin-Gang weiter fortgeführt werden. Darüber hinaus führten die Kieselsteinchen in Kombination mit trockenem Wetter zu einer extrem hohen Feinstaubbelastung in Oslo, wie man in allen Zeitungen lesen konnte. Und für Diesel-Autos wurden vor Kurzem die Mautgebühren verdoppelt… Straßenzug um Straßenzug wird nun von den Kieselsteinchen befreit. Allein für unsere Straße brauchen vier Spezialfahrzeuge – die sicherlich keinen E-Motor hatten – einen ganzen Abend. Endlich kann ich den Pinguin-Gang zusammen mit meinen Langlaufskiern in den Keller bringen und dort bis zum nächsten Schnee – also hoffentlich bis mindestens Dezember – ausruhen lassen.

Eis gibt es jetzt nur noch in essbarer Form. Doch ich muss zugeben, dass der Genuss etwas dadurch getrübt wird, dass sehr viele Jogger unterwegs sind seit der Schnee weg ist. Versuch du doch mal, ein kalorienreiches Eis zu genießen, wenn jeder zweite Mensch, den du siehst, sportlich durchtrainiert an dir in einem Affenzahn vorbeirennt. Und jeder zweite Mensch, der dies nicht tut, ein Tourist ist. Eine positive Seite hat das Ganze aber: Auch ich habe vor einigen Tagen wieder mit dem Joggen angefangen. Hierbei wirken andere Jogger natürlich motivierend. Ab und zu kann man sogar einen anderen Jogger überholen. In meinem Fall sind das meist diejenigen, denen einfaches Joggen nicht genügt und die daher einen Auto- oder LKW-Reifen hinter sich her schleifen.

Auch die Premiere meines ersten kompletten Regentages in Oslo habe ich feiern dürfen. Amüsant, dass mir genau an diesem Tag erstmalig jemand einen Flyer für eine sektenähnlichen Gemeinschaft in die Hand gedrückt hat. Vermutlich ist der Zulauf höher, wenn es draußen grau und trist ist. Ich habe den Flyer trotzdem ignoriert.

Bei gutem Wetter dominiert mich der Gedanke „ich bin in Norwegen; hier ist selten gutes Wetter; das muss ich heute ausnutzen; ich muss raus gehen“. An besagtem Regentag konnte ich endlich einmal viele Tätigkeiten für die Umzugsorganisation erledigen, ohne ein schlechtes Gewissen haben zu müssen. Die restlichen Tage jedoch locken mich immer wieder nach draußen, manchmal auf eins der Leihfahrräder und insbesondere an den Fjord.

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